Anfang März 2020 haben wir einen so genannten deflationären Schock erlebt.
Wir wollen erläutern, was bei einem deflationären Schock passiert und wie mögliche weitere Entwicklungen aussehen können. Dabei möchten wir einen prognosefreien Blick halten ohne Festlegung auf ein Szenario.
Was ist passiert?
Nicht nur die Aktienkurse sind stark gesunken. Auch die Preise aller anderen wichtigen Anlageklassen gehen seit den ersten Märztagen (nur von gelegentlichen Schwankungen durchbrochen) nach unten.
Selbst die typischen Gegengewichte zur Kursentwicklung von Aktien, nämlich Gold und Anleihen, verlieren an Wert. Wenn auch viel weniger stark als die Aktienmärkte. Damit ist die ausbalancierende Wirkung von Gold und Anleihen auf ein diversifiziertes Portfolio kurzfristig außer Kraft gesetzt. Und nur Bar- und Buchgeld haben noch stabilisierende Wirkung auf das Gesamtportfolio.
Mit anderen Worten: Egal in welche Anlageklasse Sie aktuell investieren möchten, Sie bekommen mehr für Ihr Geld, insbesondere bei Aktien. Das heißt, die Kaufkraft des Geldes hat zugenommen, Ihre Liquidität hat an Wert gewonnen. Ein sehr ungewöhnlicher Zustand. Und dieser lässt sich als „deflationären Schock“ bezeichnen.
Anmerkung: Von klassischer Deflation spricht man, wenn Löhne sowie Preise von Gütern und Dienstleistungen dauerhaft sinken, also neben den Anlageklassen auch die güterwirtschaftlichen Märkte.
Warum ist das so?
In der aktuellen Krisensituation sucht die Mehrheit der Marktteilnehmer (Unternehmen, Investoren, Spekulanten) Liquidität/ Cash, um lfd. Kosten und Darlehensraten begleichen und ausbleibende Gewinne aus wirtschaftlicher Aktivität ausgleichen zu können. Gerade Marktteilnehmer, die sich über billige Kredite hoch verschuldet haben in Erwartung steigender Wirtschaftsleistung und Gewinne, müssen nun reagieren. Alle Anlageklassen werden verkauft, auch Staatsanleihen sehr guter Bonität und Gold.
Je nach Stärke und Dauer der Corona-Krise und der Rezessionsauswirkungen kann auch der Immobilienmarkt von sinkenden Preisen getroffen werden, nämlich dann, wenn Mieten und Kaufpreise nicht mehr erwirtschaftet werden können.
„Auf den Immobilienmarkt und die Börse wirken die gleichen Kräfte. Im trägen Wohnungssegment spielen sich die Prozesse nur in Zeitlupe ab (Immobilienanalyst R. Braun, Empirica)“. Je nach Verlauf der Corona-Krise und Stärke der Rezession liegen die Prognosen zu den Immobilienpreisen bei minus 30 bis plus zehn Prozent.
Hohe Verschuldung als Ursache des deflationären Schocks
Wieso konnte das Corona-Virus nun einen deflationären Schock auslösen?
Die Ursache eines deflationären Schocks – da sind sich Ökonomen ausnahmsweise mal einig – liegt in Schulden bzw. in sehr, sehr hohen Schulden.
Der letzte weltweit wirkende deflationäre Schock vor Corona ereignete sich als Folge der sogenannten Subprime-Krise 2008/2009. Damals betrug die weltweite Gesamtverschuldung rund 250 % des weltweiten Bruttosozialproduktes (Weltwirtschaftsleistung).
Seit damals sind die Ursachen des deflatorischen Schocks nicht beseitigt worden, es gab nur einen temporären Lerneffekt. Denn Anfang 2020 betrug die weltweite Gesamtverschuldung fast das dreieinhalbfache der Weltwirtschaftsleistung. Und hohe Verschuldung kann in besonderen Krisensituationen wie heute mit der Corona Pandemie schnell zu Insolvenzen führen.
Unter Gesamtverschuldung sind Schulden der Staaten, der Unternehmen und der privaten Haushalte zusammengefasst. V.a. die Staats- und Unternehmensschulden sind seit 2008 stark gestiegen. Und das hat mit den sehr niedrigen Zinsen der Zentralbanken zu tun. Ein Beispiel: Der Chemiekonzern Bayer konnte das US-amerikanische Unternehmen Monsanto nur deswegen kaufen, weil Bayer sich extrem günstig in Milliardenhöhe verschulden konnte.
So hilfreich es aktuell von Zentralbanken und Staatsseite ist, die Wirtschaft mit frischem Geld in der aktuellen Situation zu stabilisieren, so weitreichend können die negativen Auswirkungen sein. Ein weniger bekanntes Zitat vom ehemaligen Zentralbankchef Draghi hierzu: „Die Geldpolitik wird weiterhin ihre Aufgabe erfüllen, aber die negativen Nebenwirkungen werden im weiteren Verlauf immer deutlicher (M. Draghi, 2019)“.
Die negativen Auswirkungen können ein Vertrauensverlust in die Geldpapierwährungen und in der Folge einsetzende starke Preissteigerungen (hohe Inflation) sein.
Wie geht es nun weiter?
Es gibt drei mögliche Szenarien, die Prof. Hartmut Walz sehr treffend mit dem Bild eines langsam fahrenden Radfahrers beschrieben hat. Wenn Sie sehr langsam Radfahren, fangen Sie an, den Lenker (teils heftig) hin und her zu bewegen, um das Gleichgewicht zu halten. Es ist nicht absehbar, ob der Radfahrer das Gleichgewicht halten kann oder nach rechts oder links absteigt bzw. umkippt.
Übertragen auf das Wirtschaftssystem ist ein mögliches Szenario, dass das bestehende labile Gleichgewicht gehalten werden kann. Die beiden weiteren Szenarien, die im Bild des Radfahrers dem Umkippen entsprechen, sind eine sich verstärkende Deflation, die neben sinkenden Anlageklassenpreisen auch sinkende Preise bei Gütern und Löhnen nach sich zieht. Oder stark ansteigende Inflation, d.h. stark steigende Preise von Anlageklassen und ggf. Löhnen und Gütern. Was nun wann eintritt, läßt sich ebensowenig vorhersagen wie beim Radfahrer. Beide Szenarien können an unserem Wirtschaftssystem in der jetzigen Form systemische Schäden hinterlassen und/ oder bieten die Chance, neue Wege zu gehen hinsichtlich nachhaltiger Produktion und Konsum sowie Digitalisierung der Wirtschaft.
Im Deflationsszenario ist Liquidität in Form von Bargeld und Kontoguthaben die präferierte Anlageform („Cash is king“). Im Inflationsszenario werden Anlageklassen mit Sachwertbezug (Aktien, Immobilien und Grundstücke, Gold) stabilisieren und stark im Wert steigen.
Ein robustes Finanzkonzept legt sich nicht auf ein Szenario fest, sondern lässt gedanklich alle Szenarien zu. In Anlehnung an die Strategie des „geringsten Bedauerns“ (minimum regret) ist es sinnvoll, in jeder Anlageklasse investiert zu sein. Und so gut es geht, gelassen, optimistisch und gesund zu bleiben.
Veröffentlicht am 20. August 2020 von Dr. Franz Möller und Hans-Joachim Barth