Neues Notvertretungsrecht unter Ehegatten

Umfragen zufolge hat nur ca. jeder vierte Deutsche eine Vorsorgevollmacht für sich erstellt. Gleichwohl wünschen die meisten der gesunden wie auch der erkrankten Eheleute, vom eigenen Ehegatten vertreten zu werden. Bisher gibt es dazu zwei Möglichkeiten, die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung. Letztere gilt in Gesundheitsfragen, die Vorsorgevollmacht ist umfangreicher, hierbei tritt der Bevollmächtigte in die Rechte und Pflichten des Vollmachtgebers ein und kann z.B. über Vermögensfragen wie Depot oder Konto im Namen des Vollmachtgeber entscheiden und verfügen.
Liegt keine der beiden Vollmachten vor, können selbst Ehegatten nicht über Vermögenswerte des Partners verfügen oder im Krankenhaus über Behandlungsmethoden mitentscheiden. Vielen Eheleuten ist diese Konsequenz nicht bewußt.

Deshalb hat der Gesetzgeber ein Hilfesystem, die Notvertretung unter Eheleuten geschaffen:
Eheleute sollen sich bei schwerer Krankheit oder Unfall künftig automatisch vertreten dürfen – sozusagen eine Patientenverfügung „light“. Laut bisheriger Rechtslage wäre dies nicht möglich: Um für den Fall eigener Handlungsunfähigkeit eine umfassende Vertretung in allen Gesundheitsfragen zu ermöglichen, ist die Erteilung einer schriftlichen Vollmacht gesetzlich vorgesehen und nötig (Patientenverfügung). Sofern eine Vorsorgevollmacht nicht besteht, muss durch das Betreuungsgericht ein gesetzlicher Betreuer bestellt werden, der für die handlungsunfähige Person handeln darf (zwei Drittel der Eheleute ist dies laut Umfragen unbekannt). Ein Betreuungsgericht ist nicht verpflichtet, den Ehegatten oder Abkömmlinge zum Betreuer zu bestellen. Es hat zu prüfen, ob die jeweilige Person zur Betreuung geeignet ist und ob ggf. Rollenkonflikte vorliegen. Durch dieses Prüfungsverfahren geht häufig wertvolle Zeit verloren.

Am 01.01.2023 tritt das „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ in Kraft. Dieses Gesetz schafft u.a. eine gegenseitige Ermächtigung unter Ehegatten (und eingetragenen Lebenspartnern):
Sollte einer von beiden Partnern aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht in der Lage sein, selbst in medizinische Maßnahmen einzuwilligen oder die Einwilligung zu versagen, so ist der andere hierzu berechtigt (§ 1358 BGB n.F., § 21 LPartG). Ist bereits ein Betreuer bestellt oder jemand umfassend bevollmächtigt, so scheidet die Notvertretung aus, ebenso wenn das Paar getrennt lebt.

Leider enthält das Gesetz einige Lücken und Beschränkungen. Deswegen sollte nicht auf eine selbstbestimmte und umfassende Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung verzichtet werden. Folgende Punkte bezüglich Bevollmächtigten und Umfang sind dabei zu beachten:

• Sie sollten prüfen, ob nur der Ehegatte (eingetragener Lebenspartner) vertretungsbefugt sein soll, oder ob ggf. andere Personen in Frage kommen. Auch ein Ersatzbevollmächtigter ist laut o.g. Gesetz nicht vorgesehen.
• Da es sich um die Vertretungsregel um ein Notvertretungsrecht in einer Akutphase handelt, das übergangsweise für den Zeitraum von sechs Monaten gelten soll (entsprechend der regulären Höchstdauer für eine einstweilig angeordnete vorläufige Betreuung gem. § 302 FamFG), führt eine längere Handlungsunfähigkeit wiederum zu einer Betreuerbestellung.
• Die Notvertretung unter Eheleuten bezieht sich nur auf medizinische Maßnahmen, und dies auch nur dann, wenn der Patient selber nicht mehr entscheiden kann.
• Die behandelnden Ärzte werden von ihrer Schweigepflicht entbunden.
• Der vertretende Ehegatte darf auch über freiheitsentziehende Maßnahmen entscheiden, allerdings nur über eine Dauer von sechs Wochen. Bei einer solchen Entscheidung ist zum Schutz des vertretenen Ehegatten zudem immer die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich.
• Bei Maßnahmen der Rehabilitation und Pflege sind nur „eilige“ Maßnahmen vom Notvertretungsrecht umfasst; indes braucht der vertretene Ehegatte evtl. auch bei nicht-eiligen Maßnahmen und einer längerfristigen Therapie die Unterstützung und Vertretung durch seinen Partner.
• Von der Notvertretung erfasst sind weiterhin solche vermögensrechtlichen Angelegenheiten, welche die Gesundheitssorge betreffen und aufgrund der Krankheit / Bewusstlosigkeit des anderen Ehegatten entstehen. Daher darf der Ehegatte Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege für den vertretenen Ehegatten abschließen. Dazu gehört auch die Durchsetzung von Ansprüchen gegen die Krankenversicherung in einem gerichtlichen Verfahren (im Namen des handlungsunfähigen Ehegatten).

Der sich aus der Notvertretung künftig ergebende Vertretungsumfang unter Eheleuten ist mit den eigenen Wünschen der Betroffenen abzugleichen: Ist eine Vertretung in diesen Bereichen durch den Ehegatten gewünscht? Sonst wäre ihr zu widersprechen. Ist eine Vertretung auch in den von der Reform nicht erfassten Angelegenheiten gewünscht (z.B. bzgl. Banken, Immobilien, Renten, Steuern, Vermögensverwaltung, Digitales usw.)? Dies wäre dann durch eine entsprechende Vorsorgevollmacht sicherzustellen.

Wer seinen Vertreter und deren Vertretungsmacht selbst bestimmen will, wird mit der hier vorgestellten Reform keine wirkliche Alternative finden, sondern auch künftig seinen Willen mit einer Vorsorgevollmacht umsetzen. Die Notvertretung wird daher in den überwiegenden Fällen unzureichend sein, so dass eine eigene Vollmachtserteilung angeraten bleibt.